Erfahrungen

Tatbestand: Sexueller Missbrauch bei Widerstandsunfähigkeit

Ein Abend der alles veränderte ( offener Brief eines Opfers )

Aufgewachsen in einer behüteten Familie, lebensfroh, ausgeglichen und selbstständig. Das war ich bis zu jenem Abend der alles veränderte. Im Alter von 23 Jahren wurde ich Opfer eines sexuellen Missbrauchs, in dieser Nacht veränderte sich mein ganzes Leben.

Im Dezember, nach der Weihnachtsfeier meines Arbeitgebers, suchte ich mit meinen Mädels das Kneippenviertel der Stadt auf. Die Stimmung war ausgelassen, man traf Freunde, unterhielt sich. Gegen 01:30 Uhr wechselten wir die Location. Bereits nach kurzer Zeit machte ich dort eine eher unangenehme Bekanntschaft. Ein junger Mann fasste mir plötzlich aus dem nichts ins Haar, wich mir nicht von der Seite, obwohl ich ihm zu verstehen gab, dass mir das unangenehm ist. Bis dahin kann ich mich an alles erinnern. Als er es wiederum und es nicht unterließ sprach ich ihn direkt an und wir unterhielten uns einige Minuten. Ab dann habe ich gänzlich Erinnerungslücken. Im Laufe des Abends machte ich, laut Aussagen dritter, Bekanntschaft mit einer Männergruppe. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass es sich bei der Herrengruppe um einen Firmenausflug handelte.
Beim Verlassen der Lokalität um ca. 05:00 Uhr morgens, wie andere mir später mal mitteilten, verhielt ich mich wie ein Roboter. Ich torkelte, konnte mich nicht mehr artikulieren, war regelrecht wie auf Droge. Als sich meine Gruppe dann auf den Nachhauseweg machen wollte war ich wie vom Erdboden verschwunden. Berichten zufolge wurde ich kurze Zeit vorher gesichtet, als ich planlos die Straße auf und ab ging, auf Zurufe reagierte ich nur mit einem Nicken, konnte mich anderweitig nicht mehr ausdrücken. An all dies habe ich keinerlei Erinnerungen. Plötzlich bin ich hellwach, es ist als würde man aus einem Albtraum aufschrecken und die Augen ganz weit aufreißen. Ich sehe vor mir einen Baum, höre Stimmen. Hinter mir eine Männerstimme die zu mir spricht und spöttisch lacht. Ich versuche umzuschauen, drehe meinen Kopf etwas seitlich, da ist ein zweiter Mann der ebenfalls lacht. Ich kann ihn nicht erkennen, da mich ein Licht blendet. Ich verspüre unendlichen Schmerz. Dann ist meine Erinnerung wieder erloschen. 07:30 Uhr: ich stehe vor dem Wohnhaus einer Freundin, bei der ich eigentlich übernachten wollte. Wie ich da hingekommen bin weiß ich nicht. Ich versuche sie zu erreichen, rufe mehrmals an, klingle an der Tür. Da niemand reagiert kontaktiere ich eine andere Freundin, diese merkt, dass etwas nicht stimmt, kann mich jedoch nicht richtig verstehen, da ich mich nur schwer ausdrücken kann. Sie ruft mir ein Taxi. An das Ganze kann ich mich nur sehr sporadisch erinnern. Einige Minuten später werde ich abgeholt. Ich sehe mich wie in einem Traum in das Taxi steigen, bemerke dort erst, dass meine weiße Bluse und meine Hände voller Blut sind. Zudem fällt mir auf, dass mein Nasenpiercing und mein Ohrstecker weg sind. Es müsste so gegen 09:00 Uhr gewesen sein, jedoch fehlen mir ab dann wieder jegliche Erinnerungen. Gegen 15:00 Uhr wache ich auf meiner Couch auf. Ich merke sofort, dass etwas nicht mit mir stimmt. Fühle mich ganz komisch, als würde ich tausende von Kilos auf meinen Schultern tragen. Ich gehe zur Toilette und sehe, dass ich im Intimbereich blute, bemerke einen Riss im Scheideneingang. Ich weiß sofort was mit mir passiert ist. Ich weiß, dass ich dabei gesehen wurde, denn ich habe Menschen reden gehört, als sie Heim gingen. Ich weiß, dass es unmittelbar neben einer Straße passiert ist und niemand hat mir geholfen!

Ich fühle mich schmutzig und habe das Bedürfnis mich zu duschen. Anschließend suche ich das Stockwerk meiner Eltern auf, meine Mutter spricht mich auf das Blut an meiner Kleidung an und ich fange an zu weinen, sage dass ich nicht weiß woher das kommt. Meine Eltern fragen mich mehrmals ob mir etwas passiert sei oder ob ich Schmerzen habe. Dies verneine ich, jedoch merke ich an, dass es schön wäre, wenn Mama heute Nacht bei mir schlafen würde. Ich empfinde unendliche Scham. Am nächsten Morgen habe ich immer noch diese Schmierblutungen und Schmerzen, allerdings gehe ich zur Arbeit, ich will es einfach verdrängen. Nach Feierabend habe ich endlich den Mut und suche meinen Frauenarzt auf, dieser verschreibt mir die Pille-Danach und verweist darauf, dass ich die Polizei aufsuchen soll. Dann nahm alles seinen Lauf. Die Kriminalpolizei kam zu mir nach Hause, ich wurde verhört, meine Kleidung gesichert, man fuhr mit mir ins Krankenhaus zur gynäkologischen Untersuchen. Am nächsten Tag: Tatortbesichtigung, nochmaliges Verhör, Fotoaufnahmen meiner Hämatome, die nach und nach in Erscheinung traten. Zeugen wurden vernommen, der Ablauf des Abends versucht zu rekonstruieren. Nach unendlichen neun Monaten erhielt ich dann einen Brief der Staatsanwaltschaft. Die DNA-Spuren, die an mir gefunden wurden konnten tatsächlich zugewiesen werden. Es handelte sich um einen Mann aus der Herrengruppe des Betriebsausfluges. Einige Zeilen weiter unten jedoch die nüchterne Erkenntnis: „eine Widerstandsunfähigkeit ist nicht bewiesen. Im Blut konnten keine Spuren mehr von chemischen Substanzen sichergestellt werden. Trotz der Symptome von Neuroleptika, beispielsweise das roboterartige Verhalten und die plötzlichen Sprachstörungen, sowie die Aussagen einiger Zeugen reichten nicht aus.“ Meine Welt brach zusammen. Mit dem Weißen Ring und einer Rechtsanwältin an meiner Seite versuchte ich alles um Gerechtigkeit zu erlangen, jedoch ohne Erfolg. Durch ein angebliches Missverständnis der Staatsanwaltschaft wurden versehentlich die gesicherten DNA-Spuren meines Falles teilweise vernichtet und das noch während des laufenden Wiederspruches. Nach Monaten voller Verzweiflung und Hilflosigkeit bin ich jetzt an dem Punkt angelangt, an dem ich keine Kraft mehr habe weiter zu kämpfen.

Seit längerer Zeit befinde ich mich in therapeutischer Behandlung. Ich hatte Suizidgedanken und Angstzustände. Monatelang hat meine Mutter bei mir geschlafen. Ich fühlte mich einsam, besonders schlimm war die fehlende Empathie einiger meiner angeblichen Freunde, die sich merklich wenig um mich und meinen Zustand kümmerten. Von der Justiz fühlte ich mich ebenfalls oft im Stich gelassen. Trotz Zeugenaussagen, die meinen Zustand an diesem Abend beschrieben hat es für eine Anklage nicht gereicht. Monatelang habe ich mich regelrecht versteckt und das Haus meist nur verlassen um meinen Beruf auszuführen. Ich habe mich unendlich geschämt, an mir selbst gezweifelt und alle Schuld auf mich genommen. Besonders meine Familie leidet unter dem Erlebten bis heute. Am schlimmsten ist für mich jedoch die Erkenntnis, dass mich zwar Menschen gesehen haben, mir jedoch niemand geholfen hat.

Langsam habe ich gelernt einigermaßen damit umzugehen. Mein Leben hat sich seither komplett verändert und es ist auch jetzt nicht immer leicht. Doch ich habe tolle Menschen an meiner Seite, die das Leben wieder lebenswert machen. Trotz meines bis heute noch nicht verkrafteten Traumas möchte ich anderen helfen und diesbezüglich aufklären. Als Opfer einer Straftat muss man sich nicht verstecken! Es ist nicht die Pflicht des Opfers sich zu schämen, sondern des Täters! Besonders möchte ich mich beim Weißen Ring für die stetige Unterstützung und eine Helfende Hand in der Not bedanken!

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